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Regie der nicht zu überlistenden Natur
28.03.2018
Eine Geburt ist ein Ereignis besonderer Art. Als in meinem Familienkreis eine Frau über zwei Wochen nach dem errechneten Geburtstermin war, kochten die Gefühle. Zuerst gab ich der Tatsache keine Bedeutung, dass der errechnete Geburtstermin nicht eingehalten werden kann, denn warum soll sich die Natur an Termine halten? Als ich erfahren habe, dass Kinder, die 14 Tage nach dem errechneten Geburtstermin noch nicht auf der Welt sind, dies durch Gewalt erleben müssen, war mir auf einmal grau vor Augen. Druck kam auf diese Frau von allen Seiten. Zuerst von der Hebamme, die ein Ultimatum stellte, sollte das Kind nicht spätestens Samstagmorgen, genau 14 Tage nach dem errechneten Termin, zur Welt kommen, nicht mehr Geburtshilfe zu leisten, dann von der ärztlichen Seite. Während bei Vergewaltigungen und Abtreibungen das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf Unversehrtheit des Körpers groß geschrieben sind, scheint hier nicht nur eine rechtliche, sondern vielmehr auch eine menschliche Lücke zu klaffen. Die größte Lücke ist allerdings, was den wissenschaftlichen Stand betrifft.


Von Angstmacherei und unzureichenden Informationen

Ich bin selbst Mutter eines siebenjährigen Sohnes, der als Hausgeburt auf die Welt kam. Die Schwangerschaft selbst sowie die Geburt verliefen entspannt und einfach. Ich dachte damals an die Kraft der Natur und dass ich selbst den richtigen Weg finde. Als einziger Dorn im Auge bleibt bei mir nur in Erinnerung, wie der Vater meines Sohnes auf Aufforderung der Hebamme, natürlich mit meinem Einverständnis, auf den Bauch gedrückt hat, damit das Kind schneller rauskommt, da seine Herztöne schwächer wurden. Im Nachhinein denke ich mir, dass das ja wohl natürlich ist, dass das Kind kurz vor dem Herausplumpsen im Stress ist, denn es wechselt in eine neue Situation, aus der Geborgenheit der Gebärmutter in eine getrennte von seiner Mutter. Doch in der gegebenen Situation - 16 Stunden in den Wehen - war ich mit der Situation und Schmerzen überfordert und wollte einfach nur, dass es ein Ende hat. So ähnlich reagieren viele Frauen, die schwanger sind, dies allerdings schon viel früher als am errechneten Geburtstermin.

In Foren liest man die Beiträge von Frauen in der Schwangerschaft, die wohl in Geduld gar nicht geübt sind:
 
„Bin heute schon ET +6 und fast am Verzweifeln, obwohl ich bei meinen beiden älteren Kindern ebenfalls übertragen habe. Das erste knapp 9 Tage, das zweite dann 5 Tage.
Und jetzt? Tut sich wieder nichts...
Eigentlich sollte ich es ja schon gewohnt sein und wissen, dass die Wehen irgendwann schon noch kommen. Aber die Warterei macht mürbe und die ständige Arztrennerei nervt nur noch...“

Aus der Ungeduld der Schwangeren wurde eine Praxis. Geburtseinleitungen sind heutzutage neben dem Kaiserschnitt auf der täglichen Speisekarte und werden wie Hustenbonbons verschrieben. Denn bereits am errechneten Geburtstermin wird eine Geburtseinleitung empfohlen, ab der 42. Woche gilt die Schwangerschaft dann als eine Krankheit und ist die „Einleitung beziehungsweise die primäre Sectio“ nicht mehr empfohlen, sondern offenbar aufgezwungene Maßnahme. Dafür spricht auch die auf digitalcollection.zham.ch veröffentlichte Statistik aus dem Jahr 2013: bei 37,2 % von Einlingsschwangerschaften wird der errechnete Termin überschritten. Die Überschreitungen über 14 Tage liegen bei 0,28 %. Dabei waren diese 2007 noch doppelt so hoch, nämlich 0,6%. Sprich, es ist beinahe unmöglich geworden, das Kind nach dem errechneten Geburtstermin zur Welt zu bringen.

Prof. Dr. Werner Rath, Universitätsprofessor für Gynäkologie und Geburtshilfe in Aachen, gibt selbst zu, dass Einleitungen viel zu oft nicht notwendig sind, vor allem in den Fällen, wenn es Mutter und Baby gut geht, diese allerdings trotzdem durchgeführt werden. Als ein schlagkräftes angstmachendes Argument wird verwendet: „Ab der 41. Woche steigt die Rate der tot geborenen Kinder“.

Welt.de sagt im Artikel vom 05.04.2015 Folgendes dazu:

„2013 kamen 2556 Kinder in Deutschland tot zur Welt. Ein Viertel dieser Kinder starben, weil sie zu früh auf die Welt kamen, andere litten an vorgeburtlichen Fehlbildungen. Mögliche Geburtsfehler werden nicht gesondert erfasst.“

Auch digitalcollection.zham.ch besagt, dass Studien auf wackeligen Beinen stehen. Die neueste Version der Cochrane-Metaanalyse zum Thema Einleitung von Gülmezoglu et al. (2012) behandelt nämlich Fälle einmal aus dem Jahr 1969, dann von den Kindern mit Fehlbildungen. Eine Studie in Österreich, die vor etwa 18 Jahren durchgeführt wurde, die Frauen in zwei frei gewählte Gruppen aufteilte, wobei eine Gruppe eingeleitet wurde, die zweite durfte die natürlichen Wehen abwarten. Das Ergebnis, nämlich dass 74 % mit der Einleitung zufrieden waren, ist nicht nachvollziehbar, da bei vielen der Frauen in der Gruppe schlussendlich doch die Natur ihren Lauf genommen hat.

Dabei ist der einzige Grund zur Sorge, sollte sich das Kind nicht termingerecht zur Entbindung melden, die Anrechenbarkeit zur Risikogruppe. Ist man nicht übergewichtig, Alter nicht über 35 oder unter 17, das Kind bewegt sich etc., so sollte dem Abwarten nichts im Weg stehen, auch nicht die vermeintlichen wohltätigen Ratschläge und Angstmacherei. Wobei man sich auch auf das Alter über 35 nicht festnageln kann, denn bekanntlich kann frau auch nach 35 ohne Risiken gebären. Das wäre allerdings ein Thema für einen weiteren Artikel.


Natur auf dem Esoterikregal

Als ich mich intensiv auf die Recherche begab und mich durch mehrere Blogs und Beiträge, Studien etc. durchstudierte, fiel mir die Webseite textbewegungen.at auf. Als Einleitung zum Artikel „Die Geburt als ´gewaltiges´ Ereignis“ war folgender Text zu finden:

„Irgendwo am Amazonas. Eine Frau aus dem indigenen Volk der ´Piapocos´ wird bald ein Kind gebären. Die werdende Mutter liegt auf einem Bett aus speziellen Gräsern und Kräutern. Ein Schamane markiert einen Schutzkreis. Drei Frauen singen Kraft- und Heilgesänge. Kurz vor der Geburt tragen sie die Schwangere an eine auserwählte Stelle am Amazonas. Nach wenigen Minuten ist das Baby geboren; es ist wohlauf und liegt an der Brust der Mutter. Diese strahlt und wirkt entspannt. Sie erlebte eine fast schmerzfreie Geburt. Mitten in der Natur. Mithilfe natürlicher Ressourcen. Mit dem intuitiven Wissen und Vertrauen, dass sie beschützt und fähig ist, ihrem Kind das Leben zu schenken. Der Vater durchtrennt die Nabelschnur, vergräbt die Nachgeburt und pflanzt einen Baum. Als Dank an Mutter Erde für dieses große Geschenk. Die Geburt eines Menschen im Einklang mit der Natur …“

Der Textausschnitt entspringt dem Buch von Angelika Selina Braun „Taguari – Das Leben findet seinen Weg“, ein bewegender Titel, der mich zurück in die Natur fühlen und denken ließ. Ich begab mich in die Buchhandlung, um das Buch zu erwerben. Und wo fand ich es? Auf einem Regal für Esoterik!

Hier, und damit wird Österreich, Europa, zusammengefasst Zivilisation, gemeint, wird die Natur mit „Esoterik“ abgestempelt, weil kein Leben hier mehr seinen Weg findet. Ob am Amazonas keine Kinder sterben? Natürlich ist auch das hier Alltag. Nur wird das ebenfalls als eine natürliche Vorgangsweise gesehen, so wie die Geburt, die im Einklang mit der Natur geschieht und die eine Geburt als ein Geschenk der Mutter Erde sieht, das wiederum im Geben mündet (Pflanzen eines Baumes).

Wir, zivilisierte Menschen, haben uns zu sehr von der Natur entfernt und betrachten alles Natürliche als etwas Befremdendes, belächeln die Naturvölker über ihre Bräuche und Vorgehensweisen, die uns zu wild vorkommen. Während noch unsere Omas und Uromas ihre Kinder im Stall als eine normale Geburt erlebt haben und ihr Leben weiter wie gewohnt betrieben, wird heutzutage eine Geburt zuerst groß gefeiert (Baby-Bad etc.), um dann in Eile alles nach dem Terminkalender zu tätigen. Einerseits nehmen wir uns Zeit für einen Urlaub in Griechenland, für eine lange Party und Kopfweh am nächsten Tag, für Kinobesuche und langes Tratschen am Telefon und unzählige verbrachte Stunden auf Facebook, nicht aber für eine Geburt in Besonnenheit?         


Das Recht auf Selbstbestimmung
 
Das Entsetzlichste ist allerdings, dass einem durch Druck und vermeintliches „Wohl“ das Recht auf Selbstbestimmung genommen wird. Anstatt zu heilen, wird man krank gemacht, anstatt zu informieren, wird man in Angst gedrängt und zu falschen Entscheidungen gezwungen. Während bei Abtreibungen und Vergewaltigungen das Selbstbestimmungsrecht und die Körperunversehrtheit groß im Kurs sind, wird eine Geburt als Krankheit gesehen, bei der die Mutter entmündigt wird, weil sie sich der möglichen Risiken nicht bewusst ist. Die Pflicht der Ärzte, das gilt auch unter anderem für Krebsbehandlungen, zur Handlung gehört abgeschafft und daraus höchstens das Recht gemacht. Geburt gehört zurück in die Wiege der Natur. Sonst ist das Bedenken zu groß, dass wir Menschen bald nicht einmal Atmen ohne Anweisung der Ärzte dürfen. 

vs

Bild vom Gorilla: Bob Pitchford Bristol Zoo Gardens
 

die-frau.ch