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Some heroes are real
21.01.2012
Ein faszinierendes Phänomen:
Im Grunde braucht es nicht viel, um einen guten Film zu machen. Ich muss bei der Gelegenheit an ein Zitat des französischen Regisseurs Jean-Luc Godard denken: "All you need for a movie is a gun and a girl." Dies trifft auch durchaus auf diesen Film zu.

Wenn wir den Film genauer betrachten, ist es im Endeffekt doch nicht ganz so einfach. Prinzipiell sollte die Wirkung eines Filmes auf das Publikum stimmen, wenn die Grundstory einigermaßen originell ist - doch die Story steht und fällt mit der Leistung der Schauspieler. Wenn man die Filmografie der Darsteller kennt, bevor man sich den Film "Drive" ansieht, erwartet man viel - und bekommt es auch.
 
Ryan Gosling ist einer dieser Schauspieler, an die man relativ große Ansprüche stellt, weil man es nicht anders gewohnt ist, dass er eine gute Performance abgibt. Immerhin ist er zur Zeit nicht umsonst in aller Munde. Ein Schauspieler, der so wandlungsfähig und gleichzeitig sehr vertraut ist, mit dem kann man als Regisseur nur auf der sicheren Seite sein.
 

Der Streifen selbst ist spannend von Anfang bis Ende. Es beginnt rasant und ist überraschenderweise dann doch nicht so Action-lastig, wie man bei dem Filmtitel erwarten würde. Überraschend ist auch, dass der Film großteils ohne Waffen auskommt. Die zu Anfangs erwähnte Waffe im Film ist eher der Protagonist.

Der weitgehend eher ruhige Grundton des Filmes hängt ganz direkt mit der wortkargen Figur des "Drivers" zusammen - lustigerweise fällt einem nicht auf, dass man den Namen der Hauptperson nicht einmal kennt, solange man den Film sieht - und trägt wesentlich zur Spannung des Filmes bei. Da nur so wenige Worte fallen, sitzt man nicht eine Sekunde entspannt in seinem Sessel - man kann sich nie sicher sein, was als nächstes passiert.

 

Dies auch nicht zuletzt deshalb, weil der Hergang der Geschichte unkonventionell ist. Drivers "Agent" Shannon (Bryan Cranston) wirft in der Mitte des Filmes eine Aussage in den Raum: „Eine Menge Männer haben was mit verheirateten Frauen. Aber du bist der einzige, der einen Raubüberall macht, um den Ehemann freizukaufen.“ Da haben wir schon eine unkonventionelle Situation, mit der man nicht rechnet - und sowohl den Protagonisten als auch den Zuschauer den Boden unter den Füßen wegzieht.

So einiges lässt den Zuschauer voller Erstaunen schmunzeln. Mit Bryan Cranston ist es auch so eine Sache. Man hat so das Gefühl, er würde im Moment in jedem Film mitspielen - zumindest mir geht es so. Wahrscheinlich am bekanntesten ist er als der verschrobene Vater von Malcolm in der Serie Malcolm in the Middle. Aber nicht nur den Vollidioten kann der Schauspieler perfekt mimen - ob nun bei Braking Bad, Little Miss Sunshine, King of Queens, Der Mandant oder Contagion, immer und überall ist er dabei, und lässt den Zuschauer fasziniert auf alles andere vergessen.

Selbst namensträchtige Schauspieler wie die hervorragende Carey Mulligan, und alteingesessene Kumpanen wie Ron Pearlman oder Albert Brooks verleihen dem Film eine gewisse Hochgradigkeit. Man kann zuerst nicht erwarten, dass sich die beiden - Driver und Irene - näher kommen und merkt dann jedoch schnell, dass daraus nichts Gutes kommen kann. Der Ehemann Irenes nämlich, "Standard", ist anfänglich noch im Gefängnis - man weiß noch nicht weshalb, kann es später dann aber ahnen - wird dann aber (für den Zuschauer) überraschender Weise relativ schnell entlassen. Und somit beginnt die eigentliche Zwickmühle für den Driver.

Stuntman und Automechaniker bei Tag und "mietbarer" Fahrer für Verfolgungsjadgen bei Nacht - dies sind die Handwerke der Hauptperson - und so kommt es schließlich, dass er Standard aus der Bredouille helfen muss, um Irene vor den zwielichtigen Auftraggebern Standards zu schützen, denn der hat längst nicht mit seiner kriminellen Vergangenheit abgeschlossen.

 

Auch einige auflockernde lustige Augenblicke dürfen dem Zuschauer nicht erspart werden, damit die Story funktioniert. Die Antwort Bernies (Albert Brooks), einem Mafiaboss und "altem Freund" von Shannon (Bryan Cranston) auf Shannons Ansuchen, "430 Riesen" für ein gemeinsames Projekt anszuleihen (zu dem es aufgrund der Ereignisse rund um Standard und Irene gar nicht kommen wird) - bekommt der nur ein "Pf.." samt Mittelfinger. Auch versteht es ein Profi wie Albert Brooks, genau die Wirkung beim Zuschauer zu erzielen, die er erreichen will. In der Szene, in der Driver und er vorgestellt werden, will der Mechaniker ihm nicht die Hand reichen mit der Begründung "Meine Hände sind etwas schmutzig." - egal, seine sind es ebenfalls.

Alles ist sehr still, doch keinesfalls regungslos. Die ganze Erzählung lebt quasi von Augenkontakt, Blickwechsel und nonverbalen Interaktionen der Personen untereinander. Subtiler geht es wohl kaum.  In einer Szene, in der Driver und Irene mit einem Späher für die Mafia im Aufzug stehen, selbst da gibt es keinen Dialog - alles spielt sich in den Blicken und Gesten der Schauspieler ab. Man sieht nicht nur förmlich sondern tatsächlich die Anspannung in Drivers Kiefer, wenige Augenblicke bevor das Blut fließt. Dieses schauspielerische Können macht Spaß und man weiß wieder, warum man Filme mag.
Drei Viertel des Filmes sind also sehr sehr ruhig, bis zu einem gewissen Punkt, wo über Driver Kopf alles einbricht und es blutig wird bis zum Schluss.

Hollywood-typische Szenen fehlen jedoch nicht vollständig - die obligatorische Verfolgungsjagd, in der der Fahrer ruhig bleiben muss, am Rücksitz dann aber eine kreischende Frau sitzt - man erinnere sich nur an "Transporter 3", die aber so wundervoll inszeniert ist und perfekt in den Handlungsverlauf passt.
 
Selbst der "Zweikampf" zwischen Driver und dem Mafiaboss Nino (Ron Pearlman), in der Driver eine Maske (Requisite von seinen Stuntautritten, die man ganz am Anfang des Filmes zu sehen bekommt), die sehr stark an Michael Meyers aus Halloween erinnert, hat etwas so faszinierendes und passt total zum Wesen des Drivers (der von Anfang an nicht viel redet - immerhin weiß man in dem Fall ja, wer dahinter steckt und fiebert  diemal mit dieser Seite mit.
 

Gege Ende des Filmes kommt es dann zum geschichtlichen Höhepunkt des Filmes - dem obligatorischen Showdown zwischen Driver und Bernie - dem Showdown zwischen Gut und Böse, den nur einer gewinnen kann. An diesem Punkt stellen sich für das Publikum immer vor allem zwei Fragen: Do we believe the bad guy? Does the hero believe the bad guy?
Vorrangig deshalb, da die Entscheidung des Filmhelden, ob er seinem Gegenspieler glaubt oder nicht, sich wohl oder übel darauf auswirkt, ob er lebt oder stirbt. Und natürlich gibt es in der Hinsicht nur eine Möglichkeit - wir können mit 100%er Sicherheit sagen, dass der Bösewicht NICHT die Wahrheit sagt - er wird immer versuchen, den Held zur Strecke zu bringen. Bleibt dann nur noch die Frage, wie unser Held reagiert - diese Frage muss ich an dieser Stelle natürlich offen lassen.

Was ich aber doch noch verraten will - oder besser gesagt, kann ich es nicht für mich behalten - ist die letzte Kameraeinstellung, in der man nicht genau weiß, ob Driver noch am Leben ist, oder nicht. Man wartet eine gefühlte Ewigkeit darauf, dass er endlich blinzelt - wieder einmal zeigen uns die Filmemacher, dass die Ruhe des Filmes die Spannung ausmacht, nicht die Action - ein genialer Einsatz von Nicht-Einsatz.


Wie in jedem Film spielt auch hier die richtige Musikauswahl eine essentielle Rolle. Wo und wie sie eingesetzt wird, wo sie weggelassen wird, wann Songs, wann der Score eingefügt wird, wie sie zum Setting des Filmes passt. Die 80er-Jahre-retro-Musikauswahl passt auch gut zum Ton von Drive und schafft eine außergewöhnliche Stimmung.

„Einzigartig an diesem Projekt war für mich, dass die Songs einen so starken Einfluss auf die Kompositionen der Filmmusik haben", so Martinez. „Das war hilfreich, um einen einheitlichen Soundtrackstil zu schaffen, der für den gesamten Film funktioniert. Ich fand den Elektropopstil der 80er dafür sehr einleuchtend. Ich wusste, dass Nicolas [Winding Refn, der Regisseur] in diesen Sound verliebt war und sah eine Möglichkeit, ihn mit klassischen Synthie-Sounds zu erschaffen und auch die meisten dramaturgischen Höhepunkte in diesem Stil zu untermalen.",  so Cliff Martinez, Komponist der Filmmusik.

Ich kann diesen großartigen Film mit großer Freude jedem empfehlen, der Action mag - jedem, der Thriller mag - jedem, der wahres Schauspieltalent zu schätzen weiß - jedem, dem gute Musik in einem Film wichtig ist - und Ryan Gosling zu mögen kann natürlich auch nicht verkehrt sein.

 

Kinostart: 26. Jänner 2012


Sabine Stenzenberger


Fotos: Constantin Film



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