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Auf Wiedersehen, Herr Konsul!
21.05.2012
Man lebt, indem man das Leben genießt. Warum sollte man je damit aufhören? Mit 13, 40, 90? Die Aufnahme an Informationen ist nicht altersabhängig. Oft will man sogar mit 70, 80 noch so einiges nachholen, was man während der bisherigen Lebenszeit durch Arbeitsstress, Hektik, Depressionen, Beleidigungen etc. verabsäumt hat. Mal an den Film „Das Beste kommt zum Schluss (The Bucket List)“ von Rob Reiner denken. Mit 70, 80 blättert man das gesamte Leben durch und überlegt sich, was man immer machen wollte, warum dies aber nie geschehen ist. Die einen sind enttäuscht von sich selbst, die anderen nutzen die Chance und gönnen sich was.

Herr Konsul Ing Wladimir Slechta ist mit 90 auferstanden. Nach dem Altersheim, in dem er als behinderter, unfähiger alter Knacker behandelt wurde, hat er den Jackpot gezogen. Sein weiteres Leben hat er sich nach den eigenen Vorlieben gestaltet, indem er sich endlich getraut hat, das zu tun, was er sich sein Leben lang selbst verboten oder worauf er sein Leben lang verzichtet hat.

Wee ihn persönlich kennenlernen durfte, konnte sich davon überzeugen, dass das Stereotyp, der besagt, dass die Menschen im Alter nichts als ein gemütliches Sofa und einen Fernseher brauchen, hier nicht der Fall war. Mit 90 hat er seinen Anwalt, seine Ärztin, die Assistentinnen, den Chauffeur, die Steuerberaterin usw. rund um die Uhr mit Erledigungen und Aufgaben beschäftigt. Wer nicht schnell genug oder etwas schlampig an die Aufgaben heranging, fiel in seine Ungnade. Er wusste seine Zeit zu schätzen. Ertrug nichts schwerer als wenn seine Zeit verschissen wurde. Verspätete sich seine Ärztin auch nur um fünf Minuten, ließ er ihr ausrichten, dass er zum Essen verabredet ist. Unabhängig davon, ob sich der Termin verschieben ließ oder nicht. An Unehrlichkeit ertappte er jeden mit verschlossenen Augen. Durch seine Reise nach Lateinamerika in den jungen Jahren war er an Kinderlähmung erkrankt und hatte dadurch eine Muskelschwäche. Daher war er sich relativ unsicher beim Gehen und benutzte einen Gehstock, später wurde er von zwei Assistentinnen begleitet. Diese seine Schwäche glich er damit aus, dass er ein Gespür für die Unsicherheiten anderer hatte.

Mit Herrn Konsul Ing Wladimir Slechta konnte man gut streiten, gewinnen konnte man so gut wie kaum. Er ließ sich nie etwas vorschreiben. Und wenn etwas Neues an der Tagesordnung stand, so wollte er sich selbst ein Bild davon machen. Z.B. suchte er immer die gleichen, zumindest ihm bekannten, Gasthäuser aus. Selten wollte er sich überraschen lassen, denn er erwies einen guten Geschmack und Gespür für das Gute. Für jemanden, dessen Taschen voll waren, ging er sehr spärlich mit seinem Geld um. Alles sollte seine Plausibilität haben.

Gerne gab er sein Wissen weiter und erzählte von den Abenteuern, die er in seinem Leben erlebt hat bzw. die Erfahrungen, die er gemacht hat.

Mit 90 bekannte er sich dazu, kein perfekter Vater für seine Eva gewesen zu sein. Daher suchte er mit dem oft  vorkommenden Terror, der sich dadurch äußerte, dass er sie angerufen hat, um ihr mitzuteilen, er am Sterben sei, ihre Liebe und Zuwendung verlangete. Sein Traum war, dass die Familie endlich wieder zusammen kommt. Für diesen hätte er alles gemacht. Hätte seine Tochter zu ihm gesagt, sie kommt ihn besuchen oder sie zieht zu ihm, hätte er alles aufgegeben, wäre zu ihr nach Mühlbach gezogen, auch wenn sein Traum immer gewesen ist, im Zentrum von Wien zu leben.

Eine Familie hat sich nicht ergeben. Mehr noch: Der Einzige, zu dem er Kontakt pflegte, war sein Enkel. „Aus Liebe“ zum Vater und als Scheinwichtigkeit rief seine Tochter die Polizei an, in der Meinung, ihn von seinem Lebensstil befreien zu müssen. Denn, dass ein 90-Jähriger sein Leben genießt, ist das Unnatürlichste iüberhaupt… Gut gemeint hat sie gegen ihn einen Vormund bestellt. Im Alter sollte man sich damit abfinden, dass man eh bald stirbt und das Erbe gut für die Nachfolger bewahrt werden müsse.

Auch ein wahrer Geschäftsmann hat Gefühle. Was der Konsul mit seiner Tochter nicht erlebt hat, hat er auf den kleinen Jordan projiziert. Er zeigte Interesse an jedem Schritt, an jeder kleinsten Entwicklung.

In der Tat, auch wenn sein ganzes Leben von Stress, Hektik, Streitereien mit seiner Frau, seiner ewigen Abwesenheit durch berufliche Verpflichtungen und dass dadurch zu wenig Zeit für sein einziges Kind, Eva, war, geprägt war, konnte er die Empfindungen und Erfahrungen, die er so nicht machen konnte, doch noch erleben und somit durchaus sein Leben genießen. Er lernte ehrlich, offen, direkt zu sein, seine Gefühle zu zeigen. Seinen größten Traum konnte er jedoch nicht leben.    

die-frau.ch